Dienstag, 20. Februar 2018

Ein kleines Schicksal

Meine Unterkunft in Senftenberg befindet sich in einer Villa auf dem Gelände des Theaters, sauber, großzügig, mit WLAN und der üblichen Dänischen Bettenlager-Ausstattung. Gegenüber ein typischer DDR-Plattenbau, vierstöckig, grau und gesichtslos. Im zweiten Stock des dritten Aufganges wohnt eine alte Dame, die gerne von Fenster zu Fenster über die Strasse ein kleines Gespräch führt. Als ich zum ersten Mal hier war, quatschten wir, etwas überlaut wegen der Entfernung, über dies und das, ihren Sohn, das Wetter, den Markttag, meine Arbeit. Als ich sie zur Premiere einlud, kriegte sie einen Schreck und erschien die letzten zwei Tage nicht mehr an ihrem Fenster.
Nun zwei Jahre später wartet sie hinter ihrer Gardine darauf, dass ich mein Fenster öffne, um zu rauchen, und wir schreien einander wieder zu. 
Aber die Stimmung hat sich verändert. "Alt werden, tut weh",  "Das Wetter ist aber kalt", "Mir ist oft so schwindelig", "Ich kriege keinen Schlaf" . 
"Was soll's!" ihr immer wiederkehrender Kurzsatz. "Was soll's!"
Sie ist achtzig. Die Tochter lebt irgendwo in Nordrhein-Westfalen und sie muß glauben, was die Enkel am Telefon erzählen, denn sie schafft die Reise nicht mehr und von dort kommt kein Besuch. Der Sohn hat ein Haus in Senftenberg, er bringt ihr einmal wöchentlich die Getränke. Gott sei Dank. 
Ihrer Gehhilfe traut sie nicht.
Gegenüber meiner Berliner Wohnung ist ein Seniorenheim, im Foyer sitzt jetzt oft ein ehemaliger Kollege, er sitzt und schaut. Es scheint, ohne Erwartung.
"Was soll's!"
Mir geht es gut. Noch? Mir geht es gut. 
Nach der Premiere hier werde ich Zeit haben, Dinge zu tun, die ich auch liebe. Faulsein, Freunde treffen, Kochen, Schreiben, Nachdenken, Theater gucken.
Mir geht es gut.

 Alte Frau in Havanna ©winni

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