Freitag, 15. September 2017

Was Neues, was Anderes. ROMA ARMEE im Maxim-Gorki-Theater

Aufgewachsen bin ich mit BE, DT, MGT und Volksbühne in den 70er und 80ern und ich hätte es wahrlich schlimmer treffen können. Wenn die Spielweien und dramaturgischen Betonungen sich auch voneinander unterschieden, würde ich behaupten, dass die zugrunde liegende Theatersprache eine gemeinsame war, geprägt von Stanislawski, Brecht, unserer unrühmlichen deutschen Geschichte und den Illusionen, Lügen und Schwierigkeiten des real existierenden Sozialismus.

Alex Lang mit seinen hochformalisierten intelligenten Exerzitien wurde mein Lehrer. Ich lernte viel von ihm, Handwerk, bedachte Distanz und emotionales Einlassen, gedankliche Strenge.

Dann geschah mir Frank Castorf, der nahm, was ich kannte, drehte es durch den Wolf, kochte es zusammen, formte es um und schmiß es mir hart in den Magen. Es folgten ihm unzählige Nachahmer, aber mein Urerlebnis blieb stark und ließ mich klarer hinschauen, mehr erwarten, mißtrauischer sein gegenüber ideologischer Verschwiemeltheit.

Jahre später hatte ich ein ähnliches Zusammenprallen voll tiefer Überraschung mit Armin Petras. Diesesmal war ich schon Teil der älteren Generation, noch jung, aber um einiges älter als die Spieler und der Regisseur. Armin war verspielter als Frank, weniger abgründig, weniger böse, aber seine Fähigkeit Verbindungen zu (er)finden, wo ich nur Zusammenhangslosigkeit sah, hat mich umgehauen. Er wurde mein bevorzugter Sänger des Unterganges der DDR.

Ich habe in vielen Jahren tolles Theater gesehen, viel mehr mittelmäßiges und eine erstaunliche Menge Schrott, aber hier will ich nur über Epiphanien reden, über Abende, an denen ich wußte, das ist wichtig, anders, neu. Da nimmt sich jemand Freiheiten, die ich vorher nicht gesehen habe. Da haut wer sicher gewähnte Regeln zu Bruch und baut aus den Trümmerstücken etwas Eigenes.

So ging es mir gestern bei Milo Rau, heute bei Yael Ronen. Bei Rau hochartfiziell gebaute Schein-Authentizität, bei Ronen Trash und Agit-Pop/Prop in innigster Umarmung. Und diesmal bin ich alt. Ronen ist Jahrgang 76, Rau 77, im Jahr ihrer Geburt war ich schon erwachsen. 

 
Gott sei Dank fehlt mir die Begabung zum Epigonen, ich kann nur, wie ich kann. Sonst wäre mein Regieego jetzt krisengeschüttelt. Aber trotzdem: Alles Neue ist besser als alles Alte! (Hat Brecht gesagt und ich stimme ihm zu.)

Jetzt kommt der absurde Dreh. Gestern und heute saß ich in prall gefüllten Zuschauerräumen mit anderen weißen Menschen, wie ich, Angehörigen der bürgerlichen Mittelschicht. Theater ist kein Ort der Aufwiegelung, der Störung mehr, es ist ein Ort der Zustimmung, des Einverstandenseins. Kein bedrohter Afrikaner (Rau) und kein verachteter Roma (Ronen) schert sich einen Scheiß um unser Theater. Und doch ist es gut, dass es da ist. Erklärt mir das!

2 Kommentare:

  1. Erklärungsangebot:
    Die künstlerisch theoretische Beschäftigung mit Mißständen ist Wahl und Privileg jener, die Abstand dazu genießen. Denn jene, die in ihnen leben, wollen sie nicht auf der Bühne sehen.
    Würde die Existenz dieser Mißstände aber nicht für die Köpfe und Gedanken jener verhandelt werden, die nicht in ihnen leben müssen, dann ginge das Bewußtsein für diese Mißstände in allen verloren, die davon unbetroffen sind.
    Dieses Bewußtsein für Mißstände, selbst wenn sie dem eigenen Leben fern sind, ist aber notwendig... solange sie generell existieren sowieso und selbst wenn wir sie ausrotten würden müssten wir sie erinnern... denn wer vergißt läuft Gefahr dazu verdammt zu sein, die Geschichte zu wiederholen.
    Es gibt keine Konzentrationslager mehr in Deutschland. Niemand muss sich mehr damit beschäftigen, niemand in Deutschland ist in einem Konzentrationslager. Und Herr AfD-Gauland fordert auch gerade endlich einen Schlußstrich des Vergessens unter dieses Geschichtskapitel zu ziehen. Ist lang genug vorbei, betrifft aktuell niemanden mehr, Zeit wird's.
    Vielleicht lieber doch nicht. Bewußtsein und Auseinandersetzung ist eben verdammt wichtig... auch und gerade in jenen Köpfen, die das Privileg genießen etwas nicht erlebt zu haben. Denn das menschliche Potential Fehler zu wiederholen und auf niedrigste Nenner zurückzufallen wird nur dadurch gebrochen. Nur Auseinandersetzung, lernen und Erinnerung ist Verbesserung.
    Und das ist gut, überall, auch auf einer Bühne und für die geschützten Menschen und ihre Gedanken im Zuschauerraum.

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    1. Das unterstreiche ich aber mal dick. Danke an Silvia für diesen Kommentar. Gefällt mir. Gleichsam Johannas vorausgegangenes gedankliches Sinnen.

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