Sonntag, 17. September 2017

Auf eure Gesundheit!

In Erwägung, dass mein lieber Freund gerade eine verdammt harte Zeit durchlebt und irgendwie auch meines mich selbst verblüffenden Alters  - gesund sein ist großartig. 

Lebendig sein ist ok und tot sein ist, (vermute ich,) auch ok, aber ein Leben in Krankheit ist Dreck. Wozu soll das gut sein? Kommt mir bloß nicht mit "Leiden macht stark". Macht es nicht. Wie sollte es? Leben ist schwierig genug, wenn man es kerngesund durchläuft, man benötigt jedes Quentchen Kraft dass man zur Verfügung hat, um manchesmal nicht klein beizugeben. Wer braucht da noch Krebs und AIDS und MS und all diese anderen Scheußlichkeiten?

Gott sei Dank glaube ich nicht an Gott, sonst würde ich ihn einen humorlosen Sadisten nennen.

Mein Freund und ich hatten während einer langen Autofahrt beschlossen, einhundert Jahre alt zu werden. Mein Herz hat gestottert, als er nach seiner Diagnose sagte, er würde sich jetzt auf achtzig Jahre runterhandeln lassen.

MENSCHEN GETROFFEN

Ich habe Menschen getroffen, die,
wenn man sie nach ihrem Namen fragte,
schüchtern – als ob sie gar nicht beanspruchen könnten,
auch noch eine Benennung zu haben −
„Fräulein Christian“ antworteten und dann:
„wie der Vorname“, sie wollten einem die Erfassung erleichtern,
kein schwieriger Name wie „Popiol“ oder „Babendererde“ −
„wie der Vorname“ – bitte, belasten Sie Ihr Erinnerungsvermögen nicht!
Ich habe Menschen getroffen, die
mit Eltern und vier Geschwistern in einer Stube
aufwuchsen, nachts, die Finger in den Ohren,
am Küchenherde lernten,
hochkamen, äußerlich schön und ladylike wie Gräfinnen −
und innerlich sanft und fleißig wie Nausikaa,
die reine Stirn der Engel trugen.
Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden,
woher das Sanfte und das Gute kommt,
weiß es auch heute nicht und muß nun gehn.

Gottfried Benn

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen