Samstag, 20. Februar 2016

Theater verachtet seine Zuschauer


Jeder trägt den leid'gen Stein zum Anstoß in sich selbst.
Heinrich von Kleist

 
Heute Abend Kleist in Konstanz. Der zerbrochene Krug. Der zerbrochene Kleist. Der Bruch zwischen Bühne und Zuschauerrraum.

Eine Gruppe fühlender Bürger des 19. Jahrhunderts rezitiert Kleists "Zerbrochenen Krug" aus ihren humanistisch gebildeten Hirnen heraus in die klassizistische Luft eines bürgerlichen Salons, die Verse schwingen, Empfindungen werden genossen, aber immer wieder verkanten sich Wörter. Die Posen sind streng, die die Teetassen golden, das Atmen unruhig. Manche Spieler können das gut, manche eher weniger gut, die vierte Wand ist vollständig geschlossen, Figurentexte gehen übergangslos ineinander über, wer das Stück nicht innig kennt, ist wahrscheinlich schon verloren.
Die Idee ist wunderbar. 
Aber wenn acht Schauspieler eine Stunde lang deklamieren, stets aneinander vorbeiblickend, die Sätze nur gerade noch so voneinander abnehmend, und man die Absicht nach fünf Minuten verstanden hat, wird Zeit doch ein belastender Faktor. 
Aber zumindest die herrlichen Verse bleiben. 
Einer der Spieler, eine ältere Frau, hält der mächtigen Kraft des Textes nicht länger stand, sie reißt sich, halbverständliche Wörter stammelnd, die Kleider vom Leibe, versucht den Pianisten zu vergewaltigen, der verliert ebenfalls die Contenance, macht sich nackt, schreit Müllertext in den Saal, beginnt zu Techno-Rhythmen zu tanzen, der Salonraum wird zerstört, ein olympischer Säulensaal wird sichtbar, die anderen Rezitatoren folgen dem Beispiel des Pianisten, entkleiden sich, um sich dann in weiße Lakentogas zu wickeln, die mit Hilfe von goldenen Lorbeerkränzen Antike andeuten. Es folgen 45 Minuten antikisierender Deklamation inklusive einer Kleistschen Germania-Ode.

So verlaßt, voran der Kaiser,

Eure Hütten, eure Häuser;

Schäumt, ein uferloses Meer,

Über diese Franken her!

4

Alle Plätze, Trift' und Stätten,

Färbt mit ihren Knochen weiß;

Welchen Rab und Fuchs verschmähten,

Gebet ihn den Fischen preis;

Dämmt den Rhein mit ihren Leichen;

Laßt, gestäuft von ihrem Bein,
Schäumend um die Pfalz ihn weichen,

Und ihn dann die Grenze sein!


Chor

Eine Lustjagd, wie wenn Schützen

Auf die Spur dem Wolfe sitzen!

Schlagt ihn tot! Das Weltgericht

Fragt euch nach den Gründen nicht!

Das Konzept bleibt der unbestrittene Sieger, die Zuschauer werden mit großer verächtlicher Geste zu dummen reaktionären Deppen erklärt, indem ihnen ihr kulturgläubiges Konsumverhalten vorgehführt wird, quod erat demonstrandum. Zwei Pistolen, das schreckliche Ereignis am Wannsee andeutend, werden gezogen, Goethes Büste wird angehimmelt und zu Boden geworfen, die Metaebene triumphiert. Ein Buhsturm in Konstanz, noch nie erlebt, ein gutes Zeichen oder Beweis des völligen Kontaktverlusts zwischen Theatermachenden und Abonennten? 
Man bezahlt uns, zugegebenermaßen schlecht, für die Zeit, die wir benötigen, um über Kunst zu denken, und wir bestrafen die, die uns finanzieren, indem wir ihnen ihre Beschränkung vorwerfen.
Das deutsche, mehr oder weniger, provinzielle Stadttheater bezahlt uns, gibt uns die Möglichkeit zu arbeiten und wird dafür von uns verachtet. Es ist alles, was wir nicht sind, nicht sein wollen, erfolgsorientiert, kommunikativ, anpasslerisch, verständlich.
Bin ich ein Relikt oder bin ich einfach zu vergnügungssüchtig. Warum soll ich den hassen, den ich genausogut amüsieren könnte. Warum?

19.02.2016 | Stadttheater
Der Zerbrochne Krug

Heinrich von Kleist
REGIE: Michael von zur Mühlen


Ein Krug ist in die Brüche gegangen. In Scherben liegt aber nicht nur das wertvolle Tongefäß, sondern auch die Verlobung von Eve und Ruprecht. Die schöne heile Welt in Kleists Lustspiel bekommt Risse. Gebrechlich eingerichtet ist die Welt; gebrechlich eingerichtet in ihr der Mensch. Regisseur Michael von zur Mühlen setzt sich in seiner Arbeit intensiv mit der Sprachgewalt Kleists und der Entstehungszeit seines Lustspiels auseinander. Einer Zeit, die geprägt war von einer scheinbar alternativlosen Politik der Restauration, einem Rückzug des Bürgertums ins biedermeierliche Schöner Wohnen und einem Autor, der sich weigerte seinen Platz in dieser Gesellschaft einzunehmen. Die Inszenierung hinterfragt kritisch die Rezeptionsgeschichte des Klassikers, den Inhalt einer deutschen Leitkultur und stellt die Frage nach dem heute. Ein Fest und eine Huldigung an die deutsche Sprache. Musikwissenschaften und Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin und Musiktheaterregie an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« Berlin. Er war Stipendiat am »Forum Neues Musiktheater« der Staatsoper Stuttgart und inszeniert seit 2004 im Bereich des zeitgenössischen Musiktheaters, der Oper und des Schauspiels. »Der zerbrochene Krug« ist seine erste Regiearbeit am Theater Konstanz.

2 Kommentare:

  1. sehr interessant zu lesen ... ob ein Buhsturm "Kontaktverlust" bedeutet, weiß ich nicht; ich halte solcherlei zwang zur meinungsäußerung, zur haltung gegenüber den behauptungen von kunst, eher für gut. aber ich weiß natürlich auch nicht, ob "concept art" dieser vor allem sehr klugen und reflektierten, ansonsten aber alle konvention verweigernde sorte jenseits der metropolen notwendigerweise porzellan zerschlagen sollte. aber vor allem würde ich gern sehen, wie es funktioniert ... oder eben nicht.

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  2. Ich weiß auch nicht, ob es Kontaktverlust bedeutet oder notwendige Provokation ist. Deshalb ja als Frage formuliert.

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