Sonntag, 13. Dezember 2015

Wohnungfinden in Berlin - 1



Ich habe meine Wohnung gefunden!

Glückskind ich. Und ich weiß, dass ich zu den Glücklichen gehöre, die nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch noch wohlgestaltete Wände um sich herum haben.

Wohnungsbesichtigung, viele junge Menschen und ich - die Räume sind vollgestellt mit Möbeln, die fremd und falsch und albern sind. Aber ich stimme der Abstandssumme für doofe Zeugs zu, dass ich sicher nicht behalten werde. Denn die Maße, die Symmetrie, der Geruch stimmen. Am nächsten Morgen wird per Mail weiter gepokert, immer unter dem deckenden Mäntelchen von unverbindlichen Anfragen. Hin. Her. Ich benenne das, was gewollt wird beim Namen. Die Antwortpost ist klar und direkt. 
Bewerben. Warten. Warten. Warten. Den Zuschlag bekommen!
Dann sitzt man das erstemal in leeren weißen Räumen, leer bis auf das häßliche übernommene Mobiliar, das schnellstens entsorgt werden wird. Kleine Schönheitsfehler werden sichtbar, sie sind klein. 
Jungfräuliche Räume. Weiß, hoch, leer.
Am Montag kommen meine Sachen aus Rostock, wo ich sie vor 8 Jahren eingelagert hatte. Etwas wie ein gigantisches Weihnachtsfest des schlechten Gedächtnisses wird stattfinden. 

Der Hackesche Markt - meine neue Heimat. Er ist wahrhaft nach einem Herrn Hacke benannt, wie schön. Einen an der Hacke haben, ist dasselbe wie meschugge sein, blöde, bescheuert, eine Macke haben. 
Wiki sagt:
Das Gelände, auf dem sich der Platz heute befindet, war ursprünglich Sumpfland. Erst mit dem Abriss des Festungsgrabens ließ der Berliner Stadtkommandant Graf Hans Christoph Friedrich von Hacke um 1750 den Platz im Auftrag von Friedrich II. anlegen. Er wurde schnell als der Hackesche Markt bekannt, dennoch erfolgte erst am 23. Juli 1840 die offizielle Umbenennung.

Für den Ausbau Berlins ließ Friedrich II. 1750 die Festungsanlagen und das Spandauer Tor abreißen. Auf dem davorliegenden Sumpfgebiet wurden unter Leitung Hackes neue Häuser und Straßen gebaut, nebenbei entstand ein geräumiger Marktplatz. Zum Zeichen seiner absoluten Zufriedenheit und als Anerkennung von Hackes Diensten befahl der König, diesen Platz fortan Hackescher Markt zu nennen. Als Schmonzette wird die Errichtung dieses Platzes vor den Toren Berlins auch wie folgt erzählt: Graf Hacke war ein begeisterter Jäger, und in dieser Eigenschaft machte er die Bekanntschaft mit einem verletzten Keiler. Weil dem Jagdversessenen die Klinge seines Fangmessers abgebrochen war, konnte er das Wildschwein nicht erlegen. Als dieses auf ihn zuraste, setzte sich Hacke rücklings auf dessen Rücken und klammerte sich am Fell und am Schwanz fest. Keiler samt Reiter rasten nun durch das Unterholz und erst in der Gegend des Sumpfgebietes vor dem Spandauer Tor konnte Hacke sich von dem Tier lösen. Ohne Blessuren war er davongekommen, aber der König lachte ob dieses Jagdabenteuers Tränen. Er befahl seinem treuen Stadtkommandanten, den Platz seines Abwurfs zu entwässern und Häuser darauf bauen zu lassen. So soll der Hackesche Markt zu seinem bekannten Namen gekommen sein. Hacke wurde in der Gruft der Berliner Garnisonkirche, in unmittelbarer Nähe zum Hackeschen Markt, beigesetzt.


Auf die Kirche und den dazugehörigen Friedhof kann ich aus meinen Fenstern schauen.
Und am Eingang der Höfe ein Erinnerungschild für Jacob Hoddis, einem Mitbegründer des "Neuen Clubs", eines expressionistischen Cabarets oder Neopathetischen Cabarets:

"ICH HABE AM WANNSEE ROSEN GEPFLÜCKT
UND WEISS NICHT, WEM ICH SIE SCHENKEN SOLL"
 
JAKOB VAN HODDIS
MITBEGRÜNDER DES EXPRESSIONISTISCHEN NEUEN CLUB
AM 8. 11. 1909 IN DEN HACKESCHEN HÖFEN
DEPORTIERT UND ERMORDET VON DEN NATIONALSOZIALISTEN /
IM APRIL 1942 

Preussische und jüdische Geschichte meiner Stadt auf innigste verbunden, hier passe ich hin.

Der Hackesche Markt 1996!
https://www.youtube.com/watch?v=Vg4CNhC681M 

Erinnerungen: zu Zeiten der DDr, der Hackesche Markt war eine Ansammlung von grauen, massigen, heruntergekommenen Gebäuden. An der Ecke zur Oranienburger ein Laden für gebrauchte Kleidung, heute heißt das Second Hand Shop. Im ersten Hof ein Quergebäude, jetzt wieder in leuchtendem Blau gekachelt, damals nur noch vage erinnernd an einstige Schönheit, ein Probenstudio des Fernsehfunks der Deutschen Demokratischen Republik, ein sogenannter "Loft", riesig, kalt, feucht, verfallen. Aber um die Ecke auf der Oranienburger, ich glaube, jetzt ist dort ein Pizza-Restaurant, ein kleiner chaotischer Buchladen. Bücher gestapelt auf jeder vorhandenen Fläche, in allen Regalen, auf dem Boden, in jeder Ecke. Ein evangelischer Buchladen, die Besitzerin, Verkäuferin, Buchliebhaberin eine Frau nicht feststellbaren Alters mit ungekämmtem Haar und unmodischer Bekleidung und leuchtenden blauen Augen. Sie liebte Literatur und Theater! Und deshalb bekam ich, junge aufstrebende Schauspielerin am Deutschen Theater "Bückware, Bücher, die nicht zu haben waren und nur an Auserwählte unter dem Ladentisch mittels Bücken hervorgeholt wurde. Und so wanderte ich am Gagentag mit meiner braunen Geldtüte zu diesem Laden und verließ ihn um 100 Mark der DDR leichter und 10 bis 15 Bücher schwerer. Und viele dieser Bücher werde ich am Montag wiedersehen, nach achtjähriger Trennung. Das Ende der Diaspora.

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