Montag, 22. Dezember 2014

Sie sind ein Plattkopf! und so Gedichte, die nicht zum Fest passen.



Aus dem
Lesebuch für Städtebewohner

1
Verwisch die Spuren

Trenne dich von deinen Kameraden auf dem Bahnhof
Gehe am Morgen in die Stadt mit zugeknöpfter Jacke
Suche dir Quartier und wenn dein Kamerad anklopft:
Öffne, o öffne die Tür nicht
Sondern
Verwisch die Spuren!

Wenn du deinen Eltern begegnest in der Stadt Hamburg oder sonstwo
Gehe an ihnen fremd vorbei, biege um die Ecke, erkenne sie nicht
Zieh den Hut ins Gesicht, den sie dir schenkten
Zeige, o zeige dein Gesicht nicht
Sondern
Verwisch die Spuren!

Iß das Fleische, das da ist! Spare nicht!
Gehe in jedes Haus, wenn es regnet, und setze dich auf jeden Stuhl, der da
ist
Aber bleibe nicht sitzen! Und vergiß deinen Hut nicht!
Ich sage dir:
Verwisch die Spuren!

Was immer du sagst, sag es nicht zweimal
Findest du deinen Gedanken bei einem andern: verleugne ihn.
Wer seine Unterschrift nicht gegeben hat, wer kein Bild hinterließ
Wer nicht dabei war, wer nichts gesagt hat
Wie soll der zu fassen sein!
Verwisch die Spuren!

Sorge, wenn du zu sterben gedenkst
Daß kein Grabmal steht und verrät, wo du liegst
Mit einer deutlichen Schrift, die dich anzeigt
Und dem Jahr deines Todes, das dich überführt!
Noch einmal:
Verwisch die Spuren!

(Das wurde mir gesagt.)

2
Vom Fünften Rad

Wir sind bei Dir in der Stunde, wo du erkennst
Dass du das fünfte Rad bist
Und deine Hoffnung von dir geht.
Wir aber
Erkennen es noch nicht.

Wir merken
Dass du die Gespräche rascher treibst
Du suchst ein Wort, mit dem
Du fortgehen kannst
Denn es liegt dir daran
Kein Aufsehen zu machen.

Du erhebst dich mitten im Satz
Du sagst böse: du willst gehen
Wir sagen: Bleibe! Und erkennen
Dass du das fünfte Rad bist.
Du aber setztest dich.

Also bleibst du sitzen bei uns in der Stunde
Wo wir erkennen, dass du das fünfte Rad bist.
Du aber
erkennst es nicht mehr.

Laß es dir sagen: du bist
Das fünfte Rad
Denke nicht, ich, der ich's dir sage
Bin ein Schurke
Greife nicht nach einem Beil, sondern greife
Nach einem Glas Wasser.

Ich weiß, du hörst nicht mehr
Aber 
Sage nicht laut, die Welt sei schlecht,
Sag es leis.



Denn nicht die vier sind zu viel
Sondern das fünfte Rad
Und nicht schlecht ist die Welt
Sondern
Voll.


(Das hast du schon sagen hören.) 


8

Laßt eure Träume fahren, daß man mit euch
Eine Ausnahme machen wird.
Was eure Mutter euch sagte
Das war unverbindlich.

Laßt euren Kontrakt in der Tasche
Er wird hier nicht eingehalten.

Laßt nur eure Hoffnungen fahren
Daß ihr zu Präsidenten ausersehen seid.
Aber legt euch ordentlich ins Zeug
Ihr müßt euch ganz anders zusammennehmen
Daß man euch in der Küche duldet.

Ihr müßt das ABC noch lernen.
Das ABC heißt:
Man wird mit euch fertig werden.

Denkt nur nicht nach, was ihr zu sagen habt:
Ihr werdet nicht gefragt.
Die Esser sind vollzählig
Was hier gebraucht wird, ist Hackfleisch.

Aber das soll euch
Nicht entmutigen!


Zum Lesebuch für Städtebewohner gehörig 

9

...

Sie sind ein Plattkopf

Hören Sie auch wirklich?

Es besteht doch hoffentlich kein Zweifel darüber, daß Sie mich klar und deutlich hören? 

Also:

Ich wiederhole: Sie sind ein Plattkopf.

Ein Plattkopf.

P wie Paul, L wie Ludwig, A wie Anna, zwo mal T wie Theodor

Kopf wie Kopf.

Plattkopf.

Bitte unterbrechen Sie mich nicht.
Sie sollen mich nicht unterbrechen!

Sie sind ein Plattkopf.

Reden Sie nicht. Machen Sie keine Ausflüchte!

Sie sind ein Plattkopf.

Punkt.


Ich sage es doch nicht allein.

Ihre Frau Mutter sagt das doch schon lang.

Fragen Sie doch Ihre Angehörigen

Ob Sie kein P sind.

Ihnen sagt man das natürlich nicht

Denn da werden Sie doch wieder rachsüchtig wie alle Plattköpfe.

Aber

Ihre ganze Umgebung weiß seit Jahr und Tag, daß Sie ein P sind.


Das ist ja typisch, daß Sie leugnen.

Das ist doch die Sache: es ist typisch für den P daß er es ableugnet.

Ach ist das schwer, einem Plattkopf beizubringen, daß er ein P ist.

Es ist direkt anstrengend.


Sehen Sie, daß muß doch einmal gesagt werden.

Daß Sie ein P sind

Das ist doch nicht uninteressant für Sie zu wissen, was Sie sind.
das ist doch ein Nachteil für Sie, wenn Sie nicht wissen, was alle wissen.
Ach, Sie meinen, Sie haben auch keine anderen Ansichten als Ihr Kompagnon
Aber der ist ja auch ein Plattkopf.
Biie, trösten Sie sich nicht damit, dass es noch mehr P e gibt.
Sie sind ein P.

Ist ja auch gar nicht schlimm

Damit können Sie achtzig werden

Geschäftlich ist es direkt ein Vorteil.

Und politisch erst!

Nicht mit Geld zu bezahlen!

Als P brauchen Sie sich um nichts zu kümmern.

Und Sie sind ein P.
(Das ist doch angenehm?)

Sind Sie immer noch nicht im Bilde?

Ja, wer soll’s Ihnen denn noch sagen

Der Brecht sagt’s ja auch, daß Sie ein P sind.

Also bitte, Brecht, sagen Sie ihm doch als Fachmann ihre Ansicht.


Der Mann ist ein P.

Na also.

(Einmaliges Abspielen der Platte genügt nicht.)


Bertolt Brecht Werke: Gedichte 1. Vol. 11. Berlin: Aufbau-Verlag, 1988

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