Freitag, 5. April 2013

Georges-Jacques Danton guillotiniert am 5. April 1794


Es starb kein Unschuldiger? 
Büchner, Dantons Tod

Ich habe vor vielen Jahren am Deutschen Theater in einer großartigen Inszenierung mitgespielt - "Dantons Tod" von Georg Büchner. Der Regisseur war Alexander Lang und im Unterschied zu den vielen Varianten dieses Stücks, die ich seitdem gesehen habe, stellte er die Zuschauer vor ein wirkliches Problem, indem er, die sonst ordentlich nach gut und böse sortierten 'Helden' (Nur leicht vereinfacht: Osten: Robespierre gut/ Danton schlecht; Westen vice versa) von ein und demselben Schauspieler spielen ließ. Danton und Robespierre diskutierten in einer Person, der des wunderbaren Christian Grashoff, über die Notwendigkeit des Terrors zur Rettung der Revolution. Ambivalenz nicht als beliebige Doppeldeutigkeit, sondern im ursprünglichen Sinn als Zwiespältigkeit. In unserer kleinen DDR, die lautstark behauptete mit sich so sehr im R-Einen zu sein, war das schockierend.

Ambivalenz: zu lateinisch ambi- = von zwei Seiten + valens = stark, mächtig


Roman Kaminski, Darsteller von Saint Just und Camille Desmoulin und klavierspielender Begleiter des Abends, spielte die letzten 3 oder 4 Jahre mit einem laufenden Ausreiseantrag, fuhr mit auf "Westgastspiel", seine Familie als Sicherheitsgeisel in Ost-Berlin.



„Wir haben ein Ende gemacht mit der Tyrannei der Privilegien. Wir haben ein Ende gemacht mit den uralten Übeln, jenen Herrschaftsrechten und Gewalten, auf die kein Mensch ein Anrecht hatte. Wir haben ein Ende gemacht mit dem Alleinanspruch von Reichtum und Geburt auf alle Entscheidungen unseres Staates, unserer Kirchen, unserer Armee. Gereinigt haben wir jede Vene und jede Arterie dieses großartigen Körpers des Staates Frankreich.Wir haben erklärt, dass der einfachste Mann gleich ist mit dem Größten im Land. Wir haben uns die Freiheit genommen, und gaben sie unseren Sklaven. Wir überlassen es der Welt, aufzubauen auf der Hoffnung, die wir geboren haben.Das zählt mehr als ein Sieg in einer Schlacht, mehr als alle Schwerter und Kanonen all dieser glänzenden Kavallerien Europas. Es ist eine Inspiration für die Visionen aller Menschen überall; ein Lufthauch von Freiheit, der sich nicht mehr verleugnen lässt.“

Georges Danton in seiner Verteidigungsrede vor den ihn zum Tode verurteilenden Wohlfahrtsausschuss am 4. April 1794



Danton, H. Rousseau & E. Thomas um 1889

Wiki schreibt:
Die Terrorherrschaft, die Schreckensherrschaft oder der Schrecken (französisch la Terreur) war eine Periode der Französischen Revolution von Anfang Juni 1793 bis Ende Juli 1794, die durch die Unterdrückung aller Personen gekennzeichnet war, die verdächtigt wurden, nicht mit der Revolution einverstanden zu sein.
Die Terrorherrschaft führte in Frankreich nach Archivunterlagen, die von Donald Greer ausgewertet wurden, zu mindestens 16.594 Todesurteilen vollstreckt durch die Guillotine, davon rund 2500 in Paris – 1306 der Hingerichteten liegen auf dem Friedhof Picpus. Dabei waren Opfer, die ohne Prozess getötet wurden oder in Gefangenschaft starben, nicht mitgerechnet. Ihre Zahl wird von einigen Historikern auf etwa 40.000 geschätzt, von anderen um 25.000. Insgesamt rund 85 % der Hingerichteten gehörten dem früheren Dritten Stand an, darunter Bauern mit 28 %, Arbeiter mit 31 %. 8,5 % waren aus dem Adel, 6,5 % aus dem Klerus. Rund 80 % der Todesurteile ergingen wegen Verrat oder Rebellion, 9 % wegen Oppositions-Delikten und nur wenige Prozent wegen ökonomischer Vergehen wie „accaparement“ (Aufkauf von Waren zu Wucherzwecken). Insgesamt wurden nach dem Beginn der Terrorherrschaft 1793 zirka 500.000 Verhaftungen vorgenommen und etwa 300.000 Beschränkungen des Wohnorts.


Danton, Constance-Marie Charpentier 1792

        Dantons Tod 


Bei Reinhardt wogte der dritte Akt.
Es rasten sechshundert Statisten.
Sieh an – wie das die Berliner packt!
Es jubeln die Journalisten,
Mir aber erschien das Ganze
wie eine kleine Allegorie.

Es tost ein Volk: »Die Revolution!
Wir wollen die Freiheit gewinnen!«
Wir wollten es seit Jahrhunderten schon –
laßt Herzblut strömen und rinnen!
Es dröhnt die Szene, Es dröhnt das Haus.
Um neune ist alles aus.

Und ernüchtert seh ich den grauen Tag.
Wo ist der November geblieben?
Wo ist das Volk, das einst unten lag,
von Sehnsucht nach oben getrieben?
Stille. Vorbei. Es war nicht viel.
Ein Spiel. Ein Spiel.

Kaspar Hauser
Die Weltbühne, 04.03.1920, Nr. 10, S. 311.

DANTONS TOD 

GEORG BÜCHNER

Sechste Szene


Ein Zimmer

Robespierre. Danton.
 
Robespierre. Ich sage dir, wer mir in den Arm fällt, wenn ich das Schwert ziehe, ist mein Feind – seine Absicht tut nichts zur Sache; wer mich verhindert, mich zu verteidigen, tötet mich so gut, als wenn er mich angriffe.
Danton. Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an; ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge.
Robespierre. Die Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab. Die gute Gesellschaft ist noch nicht tot, die gesunde Volkskraft muß sich an die Stelle dieser nach allen Richtungen abgekitzelten Klasse setzen. Das Laster muß bestraft werden, die Tugend muß durch den Schrecken herrschen.
Danton. Ich verstehe das Wort Strafe nicht. – Mit deiner Tugend, Robespierre! Du hast kein Geld genommen, du hast keine Schulden gemacht, du hast bei keinem Weibe geschlafen, du hast immer einen anständigen Rock getragen und dich nie betrunken. Robespierre, du bist empörend rechtschaffen. Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, bloß um des elenden Vergnügens willen, andre schlechter zu finden als mich. – Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte: du lügst, du lügst!?
Robespierre. Mein Gewissen ist rein.
Danton. Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält; jeder putzt sich, wie er kann, und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus. Das ist der Mühe wert, sich darüber in den Haaren zu liegen! Jeder mag sich wehren, wenn ein andrer ihm den Spaß verdirbt. Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebürsteten Rock trägst? Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken oder Löcher hineinreißen; aber was geht es dich an, solang sie dich in Ruhe lassen? Wenn sie sich nicht genieren, so herumzugehn, hast du deswegen das Recht, sie ins Grabloch zu sperren? Bist du der Polizeisoldat des Himmels? Und kannst du es nicht ebensogut mitansehn als dein lieber Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor die Augen.
Robespierre. Du leugnest die Tugend?
Danton. Und das Laster. Es gibt nur Epikureer, und zwar grobe und feine, Christus war der feinste; das ist der einzige Unterschied, den ich zwischen den Menschen herausbringen kann. Jeder handelt seiner Natur gemäß, d. h. er tut, was ihm wohltut. – Nicht wahr, Unbestechlicher, es ist grausam, dir die Absätze so von den Schuhen zu treten?
Robespierre. Danton, das Laster ist zu gewissen Zeiten Hochverrat.
Danton. Du darfst es nicht proskribieren, ums Himmels willen nicht, das wäre undankbar; du bist ihm zu viel schuldig, durch den Kontrast nämlich. – Übrigens, um bei deinen Begriffen zu bleiben, unsere Streiche müssen der Republik nützlich sein, man darf die Unschuldigen nicht mit den Schuldigen treffen.
Robespierre. Wer sagt dir denn, daß ein Unschuldiger getroffen worden sei?
Danton. Es starb kein Unschuldiger! Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, wir müssen uns zeigen! (Danton ab.)
Robespierre. (allein). Geh nur! Er will die Rosse der Revolution am Bordell halten machen, wie ein Kutscher seine dressierten Gäule; sie werden Kraft genug haben, ihn zum Revolutionsplatz zu schleifen.

Mir die Absätze von den Schuhen treten! Um bei deinen Begriffen zu bleiben! – Halt! Halt! Ist's das eigentlich? Sie werden sagen, seine gigantische Gestalt hätte zu viel Schatten auf mich geworfen, ich hätte ihn deswegen aus der Sonne gehen heißen. – Und wenn sie recht hätten? Ist's denn so notwendig? Ja, ja! die Republik! Er muß weg.

Es ist lächerlich, wie meine Gedanken einander beaufsichtigen. – Er muß weg. Wer in einer Masse, die vorwärts drängt, stehenbleibt, leistet so gut Widerstand, als trät' er ihr entgegen: er wird zertreten.

Wir werden das Schiff der Revolution nicht auf den seichten Berechnungen und den Schlammbänken dieser Leute stranden lassen; wir müssen die Hand abhauen, die es zu halten wagt – und wenn er es mit den Zähnen packte!

Weg mit einer Gesellschaft, die der toten Aristokratie die Kleider ausgezogen und ihren Aussatz geerbt hat!

Keine Tugend! Die Tugend ein Absatz meiner Schuhe! Bei meinen Begriffen! – Wie das immer wiederkommt. – Warum kann ich den Gedanken nicht loswerden? Er deutet mit blutigem Finger immer da, da hin! Ich mag so viel Lappen darum wickeln, als ich will, das Blut schlägt immer durch. –  Ich weiß nicht, was in mir das andere belügt.

Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu sich vor des Tages Licht verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand und stehlen sich in das stille Haus des Traums. Sie öffnen die Türen, sie sehen aus den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im Schlaf, die Lippen murmeln. – Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum? sind wir nicht Nachtwandler? ist nicht unser Handeln wie das im Traum, nur deutlicher, bestimmter, durchgeführter? Wer will uns darum schelten? In einer Stunde verrichtet der Geist mehr Taten des Gedankens, als der träge Organismus unsres Leibes in Jahren nachzutun vermag. Die Sünde ist im Gedanken. Ob der Gedanke Tat wird, ob ihn der Körper nachspiele, das ist Zufall.

1 Kommentar:

  1. Diese Inszenierung, damals, von Alexander Lang - eine der aufregendsten und auch schönsten, die ich überhaupt je gesehen habe.
    Aktuell inspiriert, aber respektvoll aus dem Text heraus entwickelt.
    Und so viele wundervolle Schauspieler, das Rot, diese Bühne, diese Kostüme - da passte alles zusammen, als müsste es genau so sein, und war doch immerfort zum Staunen. Theaterglück.


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