Sonntag, 28. Oktober 2012

Bald bin ich alt, aber jetzt noch nicht.



Ich werde nie ein alter Mann sein. Alt zu sein, heißt für mich immer 15 Jahre älter zu sein, als ich es bin."

“I will never be an old man. To me, old age is always 15 years older than I am.”
Bernard Baruch 

Gilt für mich, Frau, ebenso. 


Als ich 8 war, dachte ich, dass 14-jährige eine ganz andere Art Menschen wären. Wissend, unnahbar, gemein. Wirklich alte Leute, wie etwa meine Eltern und andere an meiner Erziehung Beteiligte, waren die, die tollen Sachen machten, wenn ich ins Bett mußte. Nächte gefüllt mit aufregenden, beneidenswerten, dekadenten Vergnügungen, die ich, bis aufs Fernsehgucken, zwar nur ungenau definieren konnte, um die ich sie aber glühend beneidete. 
Nur meine Großmutter war eine Ausnahme. Allwissend, alles verstehend, jung und geheimnisvoll uralt.

Mit 16 fand ich jeden über 20, außer dem Mann in den ich verliebt war, blöd und bedauernswert. Ich wußte ja schon alles, und das meiste auch besser. Nur, dass es diese alten Leute es halt schon wieder vergessen oder nie gewußt hatten. Unbegreiflich, warum die alle nicht begriffen, was doch so sonnenklar war. Wenn man uns nur gelassen hätte, die Welt wäre eine ganz andere, bessere gewesen.

Bis 20 war ich unsterblich. 

Dann starb der erste Gleichaltrige.

Danach war ich viele Jahre ausschließlich mit mir und anderen ungefähr Gleichaltrigen beschäftigt. Der dreissigste Geburtstag war schön, aber nicht welterschütternd, trotz der warnenden Unkenrufe meiner Umgebung. 
40 ebenso - dachte ich, dann krachte es. Man hat es gekracht.

50 und folgende ist ganz in Ordnung bisher. Keine größeren Gesundheitskrisen, weniger Schlaf ist nötig, die Fähigkeit zum Spaß haben, ist noch ungemindert. Aber dieses Altern beschäftigt mich. 

Als ich jung war, war Jugend noch keine Zielgruppe. Man war halt jung. Jetzt, heute, spüre ich eine absichtsvoll künstlich erzeugte, strenge Teilung der Gesellschaft, zumindest in unserem europäisch/nordamerikanisch Luxusteil der Welt. Marketing, Werbung und Interessengruppen der Politik/Wirtschaft behaupten Unverträglichkeit beider Seiten miteinander, als würde an einem magischen Punkt der Lebenszeit eine Grenze verlaufen, die uns in zwei Lager teilt. Über den Grenzzaun schauen wir uns feindselig in die jungen/alten Augen. Die Familie, ob verwandschaftlich oder durch glücklichen Zufall zusamengesammelt, war einst melting pot (Schmelztiegel) der Generationen, sie gibt es fast nur noch in Bruchstücken. Ein neues Interesse aneinander haben wir noch nicht entwickelt. "Ihr stehlt uns das Geld für unsere Renten" - "Wir haben ein Leben lang für eure Zukunft gearbeitet."

Meine Mutter ist heute 82 Jahre alt geworden. Eine Freundin wird demnächst 90. Und überraschenderweise, denken diese Alten merkwürdige, freche Gedanken, sie machen böse, wahre Witze, sie wissen Dinge. Nicht weil sie alt, weise und ach so erfahren sind, sondern weil sie in der Welt leben, sie erleben, ertragen, über sie nachdenken. Sie lieben, sie trauern, sie benehmen sich schlecht und gut, sie haben Hoffnungen. Sie hatten mehr Zeit. Sie werden weniger Zeit haben.

Happy birthday!
 

3 Kommentare:

  1. Herzlichen Dank für diese berührenden Gedanken, die ich interessiert lese und doch nicht teilen kann, da ich das Leben in meiner Kindheit aus einer anderen Perspektive kennenlernte. Denn:

    "Als ich 8 war, dachte ich...", dass nicht nur meine Kindheit, sondern das Leben als solches zu Ende war (und das war es auch für einige Jahre), da meine eigene Mutter schon mit 45 Jahren starb.

    Da waren keine Erwachsenen mehr, "die tolle Sachen machten", die Erwachsenen hatten allenfalls noch mitleidige Blicke für mich - die ich übrigens als genauso schlimm empfand wie die offene Verachtung. (Ja, man wird verachtet als Kind, wenn man plötzlich nicht mehr ein Leben führen kann wie alle anderen. Verstehen werde ich das nie, aber es ist doch so.) Vielleicht hätte ich den Tod meiner Mutter leichter verwinden können, wäre ich nicht durch jene Unfähigkeit der erwachsenen Menschen, damit umzugehen, immerfort daran erinnert worden.

    Heute nun bin ich in demselben Lebensjahr wie meine Mutter damals, als sie starb. Und mit diesem Bewußtsein - mit 45 kann (m)ein Leben schon zu Ende sein -, bin ich aufgewachsen. Inzwischen ("mit 16"...) empfinde ich das - neben dem Schmerz, der natürlich immer bleibt - als Bereicherung und fast als Glück, da es mir die Fähigkeit verliehen hat, wirklich einen Augenblick ganz tief und dankbar zu erleben - und auch die Fähigkeit des Verzeihens und der Achtsamkeit im Umgang mit anderen Menschen. Das Wissen um die Zerbrechlichkeit des Lebens ist ein großer Schatz - der Tod ist ein wahrer Lehrmeister.

    Und angesichts der täglichen Verletzungen, die wir Menschen einander und auch der Natur oder den Tieren zufügen, frage ich mich auch: Wie achtlos würden wir wohl miteinander umgehen, wenn wir wüßten, dass wir ewig leben könnten?

    Alles Gute für das Wohlergehen Ihrer Mutter! Viel Freude aneinander wünsche ich Ihnen.

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  2. Danke für Ihren Kommentar. Ein anderes Leben, eine andere Welt - Sicht. Sehr ernsthaft, sehr verständlich. Ich wünsche Ihnen ein langes liebevolles Leben.

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  3. für Anonym

    Sie schreiben Verachtung. Vielleicht ist es das richtige Wort, das das Empfinden der Eindrücke bündelt. Und dann ist da die Angst, die sich Ekel nähert. Die Scham, unglücklich zu sein. Die Trennlinie.

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