Mittwoch, 9. Mai 2012

Zwei Friedhöfe in Berlin-Mitte


Friedhöfe sind gut zum Spazieren, besonders für Großstädter mit einem unterentwickelten Hang zur Natur. Man muß nirgendwo mit Hilfe des Nahverkehrs hinfahren, keine Badehose oder ähnliches einpacken und auch kein praktisches Schuhwerk anziehen. Das nächste Cafe ist nicht weit und man ist unter Leuten, nur dass die eben tot sind.
In welche Stadt ich auch komme, immer besuche ich auch ihre Friedhöfe. Ich war bei Marx und Jim Morrisson, bei Michail Bulgakow und auf dem herrlich gruseligen St. Louis Friedhof in New Orleans. Ein Freund hat mich vor Jahren auf den riesigen jüdischen Friedhof in Berlin-Weissensee geschleppt, inclusive über die Mauer klettern und von einem zauberhaften gesprächigen Totengräber wieder rausgelassen werden. Der jüdische Friedhof in Prag ist zum Weinen schön und in Neapel war ich in Katakomben voll theatralisch lebendigtoter Mumien. 

„Wenn ein Freund weggeht, muß man die Türe schließen, sonst wird es kalt.“ Bertolt Brecht

Merkwürdigerweise gehe ich selten an die Gräber der Menschen, die ich liebe und verloren habe. An die denke ich lieber ohne Grab.
Jetzt hat mich eine Freundin vor ein paar Tagen zum Besuch zweier sehr persönlicher Friedhöfe verführt, dem Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden und dem I. Französische Friedhof inmitten von Mitte, ganz dicht beieinander, nur durch eine Mauer (aber mit Durchgang) getrennt. Hier liegen einige mir nahe Menschen. Mein Vater. Und meine Großmutter, die ich sehr geliebt habe. Und der Klaus Piontek, ein guter, ein sehr guter Freund.

Ich will sterben, und ich hoffe
daß ich sterbe wie erhofft
nicht verwirrt und nicht besoffen
sterben mehrmals, oft und oft.

Meinetwegen auch mit Schmerzen
meinetwegen auch mit Wut
sterben nicht nur mit dem Herzen
sterben so, als sei es gut.

Ekkehard Schall
 
Und hier liegt eine riesige kunterbunte Gruppe deutscher Denker und Spinner und Künstler. Was muß das für eine geistvolle Geisterparty sein, so zwischen Mitternacht und die Minute danach
Anna Seghers tratscht mit Hermlin über die Situation des Schriftstellerverbandes und was der Hochhuth sich wohl gedacht hat. Da raucht Heiner Müller mit Hegel, Fichte und Marcuse. (Marcuse hat übrigens den guten Spruch: "weitermachen" auf seinem Grabstein!) Mein Mentor und erster Intendant Gerhard Wolfram, Langhoff, Devrient und Eysoldt und der gute alte Trinker Piet Dommisch streiten sich mit Eberhard Esche und Hacks über den Niedergang des Berliner Theaters. Und jetzt kann sich Ivan Nagel dazusetzen und Langhoff auch. Gosch ist ja wohl eher wortkarg. Hans-Peter Minetti muß sehen, wo er bleibt.
Die Bonhoeffers, Brecht, Bronnen und Eisler und Erich Engel und der wilde Geschonneck quatschen über was? - Da möchte ich gern zuhören. 
Oder bleiben die alten Feindseligkeiten bestehen? Bahro und Bohley noch unter Beobachtung von toten Stasileuten? Liest Jürgen Kuczynski noch jede Nacht die Börsenberichte? Bleiben Rauch, Schadow und Schinkel unter sich oder mischen sich alle Zeitalter? Posthume neue Freundschaften könnten entstehen. Und wird hier Theater gespielt? - Ein kleines edles Ensemble bekäme man zusammen. Iffland, Eysoldt, Devrient stoßen auf Schall, Weigel, Piontek und Franke.
Gibt es Bier für die berühmten Geister? Und für die anderen auch?
Denn das ist eines der schönen Dinge auf diesen Friedhöfen - hier liegen berühmt und unberühmt nebeneinander, friderizianisches und wilhelminisches Deutschland, DDR und alles dazwischen und danach auf wenigen hundert Quadratmetern zusammengedrängelt. Bombastische Grabmäler und Findlinge, immer wieder peinliche von Herzen kommende Sprüche und der quadratische kleine Klotz für den quadratisch kleinen Hanns Eisler. Leider hat Herr Litfaß keine seiner Säulen bekommen.



Wirklich und ohne Quatsch, auch ein Herr Piefke fand hier seine letzte Ruhestätte. Berlin lebe hoch!
Ich möchte übrigens verbrannt werden und mir ist schnurzpiepe was danach mit dem Rest passiert.

LVI.

     Ich hab’ im Traum’ geweinet,
Mir träumte du lägest im Grab’.
Ich wachte auf und die Thräne
Floß noch von der Wange herab.
     Ich hab’ im Traum’ geweinet,
Mir träumt’ du verließest mich.
Ich wachte auf, und ich weinte
Noch lange bitterlich.

     Ich hab’ im Traum’ geweinet,
Mir träumte du wärst mir noch gut.
Ich wachte auf, und noch immer
Strömt meine Thränenfluth.

Heinrich Heine
(Nein, der liegt nicht hier, würde aber gut hierher passen, oder?)

Wiki schreibt:
Der Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden (kurz: Dorotheenstädtischer Friedhof) liegt im Berliner Ortsteil Mitte. Er bedeckt eine Fläche von 17.000 Quadratmetern. Der Zugang befindet sich in der Chausseestraße Nr. 126. Zahlreiche bedeutende und prominente Persönlichkeiten haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden. Durch die Gestaltung ihrer Grabmäler ist der Friedhof auch ein wichtiges Zeugnis für die Berliner Bildhauerkunst, besonders des 19. Jahrhunderts. Die Anlage steht vollständig unter Denkmalschutz.
Der I. Französische Friedhof in der Oranienburger Vorstadt von Berlin ist ein kunsthistorisches Denkmal in unmittelbarer Nachbarschaft zum Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden. Der Französische Friedhof bildet gemeinsam mit dem benachbarten Dorotheenstädtisch-Friedrichswerderschen Friedhof das bedeutendste erhaltene und noch genutzte Friedhofsensemble Berlins aus dem 18. Jahrhundert. Auf dem Friedhof sind Beispiele klassizistischer Grabmalkunst des 19. Jahrhunderts zu finden. 

3 Kommentare:

  1. Wie nah sind uns manche Tote, doch
    Wie tot sind uns manche, die leben

    singt olle Wolf Biermann, der mutige Poet, dem ich, wir, so viel zu verdanken haben, in seinem heiteren melancholischen Lied über diesen HUGENOTTENFRIEDHOF ( auf YouTube zu hören)

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  2. Wir gehn manchmal zwanzig Minuten
    Die Mittagszeit nicht zu verliern
    Zum Friedhof der Hugenotten
    Gleich hier ums Eck spaziern
    Da duftet und zwitschert es mitten
    Im Häusermeer blüht es. Und nach
    Paar wohlvertrauten Schritten
    Hörst du keinen Straßenkrach

    Wir hakeln uns Hand in Hand ein
    Und schlendern zu Brecht seinem Grab
    Aus grauem Granit da, sein Grabstein
    Paßt grade für Brecht nicht schlecht
    Und neben ihm liegt Helene
    Die große Weigel ruht aus
    Von all dem Theaterspielen
    Und Kochen und Waschen zu Haus
    Dann freun wir uns und gehen weiter
    Und denken noch beim Küssegeben:
    Wie nah sind uns manche Tote, doch
    Wie tot sind uns manche, die leben

    Wir treffen das uralte Weiblein
    Das harkt da und pflanzt da und macht
    Und sieht sie uns beide kommen
    Dann winkt sie uns ran und lacht
    Die Alte erzählt uns von Achtzehn
    Novemberrevolution:
    »Hier schossen sich Spartakisten
    Mit Kaiserlichen, die flohn!

    Karl Liebknecht und Luxemburg Rosa
    - so muß es den Menschen ja gehn! -
    lebendig und totgeschlagen
    Hab ich sie noch beide gesehn!
    Als ich noch ein junges Ding war
    - ich bin ja schon viel zu alt! -
    Von hier bis zur Friedrichstraße
    War alles noch dichter Wald!«
    Dann freun wir uns und gehen weiter ...


    Da liegt allerhand große Leute
    Und liegen auch viel kleine Leut
    Da stehn riesengroße Platanen
    Daß es die Augen freut
    Wir gehn auch mal rüber zu Hegel
    Und besuchen dann dicht dabei
    Hanns Eisler, Wolf Langhoff. John Heartfield
    Wohnt gleich in der Nachbarreih'

    Von Becher kannst du da lesen
    Ein ganzes Gedicht schön in Stein
    Der hübsche Stein da aus Sandstein
    Ich glaub, der wird haltbarer sein
    Die Sonne steht steil in den Büschen
    Die Spatzen jagen sich wild
    Wir halten uns fest und tanzen
    Durch dieses grüne Bild
    Dann freun wir uns und gehen weiter

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