Dienstag, 21. Februar 2012

Fasching, Karneval, das alljährliche Grauen


In meinem Beruf verkleidet man sich. Das mag ich, sich verwandeln ist schön. Gebt mir einen Reifrock oder einen langen schweren Mantel, zu große Schuhe, unmögliche Pfennigabsätze, ein Kleid mit Punkten oder ein im Sinne des Wortes atemberaubendes Korsett - wunderbar - wer weiß, wer ich seien werde. Auf jeden Fall nicht ICH - ein Abenteuer.

Aber erklär mir doch bitte jemand Karneval - vereinsmäßig organisiertes Verunschönen von Kindern und anderen Menschen. Das Röckchen ist kürzer je dicker der Hintern, es gibt keine Farbe außer Grell und giftblaue Glitzerschminke mit pinken Strasssteinen bedeckt nette Gesichter, wie funkelnde eitrige Pusteln einer besonders gräßlichen Infektion. Zweispitze stehen übrigens auch nicht jedem. Die Musik war schon in den lauten Achtzigern scheußlich und sind die Witze doch komisch und nur mir fehlt der dafür nötige Gehirnabschnitt? Und da ist auch ein unterschwelliges militaristisches Motiv, synchronisiertes Bewegen unter königlicher Führung hinterläßt bei mir einen sauren Geschmack.

Wiki schreibt:
Am Beispiel von Helau seien hier einige Verwendungsarten von Narrenrufen dargestellt:
  • als einfach zweigeteilter Ruf: „He – lau!“
  • als zweifacher Ruf: „Karnevalshochburg – Helau!“
  • als dreifach abgeändert wiederholter Ruf: „Darauf ein dreifach kräftiges|schallendes /donnerndes“ (zuweilen auch: „kräftig schallendes|/donnerndes“): Helau!
 
Ingolstadt im Januar, 17 Grad minus, Fasching, Teenagerinnen in dicken Parkas und Pudelmützen, wackeln wankend auf ungewohnten Zehn-Centimeter Absätzen über das Pflaster des Theatervorplatzes. Hauptschulfaschingsfeier. Jede Dritte trägt Strapse, jede Sechste schämt sich ganz doll. Rührend.
Die dazu gehörigen Jungs gefühltes Alter 12, sind überfordert.

Mittendrin immer mal ein kleines Kind, eine Prinzessin oder ein Pirat - da stimmt es plötzlich.

8 Kommentare:

  1. Burkhard Ritter
    ‎...und plötzlisch ist dann Karneval! (Tusch) .... Walhallamarsch ...

    Burkhard Ritter
    ich wollte noch ein "gäääähn" ranhängen.

    Circusratte TiTo
    irritierend und gut wenn ich meine Gedanken in deinem Blogg lese. Da fühlt man sich nicht mehr so allein zwischen all den Narren.

    Martin Baucks
    Ich trag meine Strapse im Gesicht. Helau.

    Johanna Schall
    ‎@ Martin: Das würde ich gern sehen.

    Thorsten Duit
    als relativer Neukölner hab ich mich dieses Jahr mal uur Gänze ins Getümmel des Karneval gestürzt und eine Stimmung, eine Liebe zu Traditionen, einen Respekt, eine Menschenliebe und eine Offenheit erlebt, die wir Theatermenschen nur viel zu oft nur behaupten. Das Recht, mal aus der Haut zu schlüpfen und eine andere Aura anzulegen tut gut und ist kein Privileg von Theaterschaffenden. Sicher gi bts beim Fasching auch die tümelnden Abgründe - aber daraus alles zu verurteilen, geht doch an der Sache vorbei. Liebe Johanna, gern lade ich dich nächstes Jahr ein, dir meinen Karneval zu zeigen ... Alaaf!

    Axel Holsta
    ich erinnere mich nur das die beschissenen zeit in unserem leipziger neubaugebiet , das also meine kindheit für mich nur sinnvoll und abenteuerlich für wenige stunden durch die faschingsfeiern in unserer ansonsten beschissenen miefigen von druck und verlogenheit regierten schule unterbrochen wurde. ich ging als urmensch einmal oder cowboy und war einfach nur glücklich. auch finde ich den fasching im schwäbischen mit seinen masken und gruseligem winterausgetreibe zutiefst anziehend der rheinische karneval ist sehr katholisch und von der tiefen sehnsucht getrieben schuldfrei agieren zu können wenigsten ein paar tagelang karneval hat im rheinland und ruhrgebiet aber vor allem tief im gesellschaflichen verankert soziale funktion. die treffen sich ähnlich wie im schützenverein übers ganze jahr knüpfen kontakte etc und saufen natürlich Ich steh gar nich drauf kann aber die sehnsucht derjenigen die sich nich ständig kostüme überwerfen müssen/dürfen das auch mal zu tun gut verstehen.

    Axel Holsta
    übrigens finde ich das man das mit dem antimilitarismus in der anwendung auch übertreiben kann

    Ich Allein
    ‎@Thorsten - Danke für die schönen Worte über den Fastelovend! - Hab viel Heimweh momentan und wünsch allen vun Hätze völl Spaß bejm Nubbelverbrenne!

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  2. Petra Keil
    Es wird Bestimmt WANN das Volk mal einen RAUSHÄNGEN sollte.... Baut Volksunstimmichkeiten mitunter ab. Alles genau von WANN-WANN!
    Ventil Spaß fürs Volk!
    Haltet zu ungünstigsten Zeiten die Klappe und lasst die Sau raus , wenn's denn "traditionell erlaubt" ist!!
    EIN SCHWACHSINN OHNEGLEICHEN!!!!!!!

    Thorsten Duit ‎
    @Petra: soweit ich weiß, ist Karneval kein obrigkeitsdiktierter Termin, sondern kulturell gewachsen ... also wird es wohl ein menschliches Bedürfnis sein, nach langem Winter, langen dunklen Tagen und Kälte wieder die Freude am Frühling, am heller werden der Tage und am Leben zu zelebrieren.

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  3. Sonja Hilberger
    In der Gropiusstadt waren die Faschingsfeiern in der Schule eine willkommene Abwechslung. Und da wars mir total schnuppe ob das in Berlin Tradition hat oder nicht. Alle Türen waren offen (Fast) und man konnte einen Tag lang durch alle Räume, Gänge, Treppenhäuser toben und laut Schreien und wild Toben. Das war geil und ich bin froh das es der Fasching bis nach Preussen geschafft hat. Und wieviele Möglichkeiten gibt es für Erwachsene Menschen, alles auf den Kopf zu stellen, an einem Tag, wo das viele tun, auf der Strasse, nicht zu Hause, und dabei wahrzunehmen, oder zu vergessen, wie beschissen trist und traurig das ist, womit der übrige Alltag , die Arbeit oder keine zu haben, vergeudet wird.

    Sonja Hilberger Die Faschingsszene bei "Der verlorenen Ehre der Katharina Blum" ist da auf dem Punkt.

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  4. das schöne am Fasching ist doch der Aschermittwoch, nun können wir 40 tage lang entsagen - FASTEN - nix Alkohol - nix Nikotin - nix sex - nix Fleisch. vielleicht kommt daher der begriff FASTNACHT?
    mfg ko

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  5. Isch gomm ausm Rheinland, isch bin da jeboren, det allet müsste mir inne blud liejen... TUT ES ABER NICHT!
    Als Kind war Karneval 'nen Hammer. Besonders, weil meine Mutter unsere Kostüme selber nähte. Unvergessen mein Bruder als Snake Plissken MIT Augenklappe.Ich hatte parallel einen Superhelden erfunden... "Captain Violet"... immer in den Diensten der Armen und Entrechteten, HA!
    Als wir noch kleiner waren bildeten mein Bruder und ich immer ein Duo... er Old Shatterhand, ich der blonde Winnetou. Legendär auch die Kostümadaption aus "Mondbasis Alpha 1" - er als Commander John Koenig, ich als Dr. Helena Russell... und dann noch Bonbons... nein, als Kind hatte ich an Karneval wenig zu kritisieren.
    Umso vehementer hab' ich dann später die Veranstaltung boykottiert... etwa ab dem Alter, wo man anfängt die humoristische Prozedur mit Alkohol zu verweben... was ich nicht tat und weswegen mir auffiel wie völlig beknackt diese Veranstaltung eigentlich ist.
    Plötzlich ging mir auf wie verfroren, gestresst und mieslaunig die alle im Zug der Narren unterwegs waren. Die ham' da kein Spässeken, die haben sowas wie eine beinharte unerfreuliche Premiere, nach wochenlangen Endproben in denen sie sich über und durch diverse Sitzungen schleppen und die Wagen bauen.
    Von da an ging ich in nahen Ratinger Waldgebieten spazieren, wenn die Karnevalisten auf den Straßen losgelassen waren.
    Zweimal habe ich dennoch noch einmal an einem Karnevalszug gestanden. Einmal in Dessau, das war harmlos und was macht man nicht alles für seine Beziehung und einmal zum Veedelszöch in Köln/Porz, weil ich es versprochen hatte.
    Ich trug eine weiße Judohose, ein weißes Sweatshirt, hatte die Haare zurückgegelt, ich trug Handschellen, einen Gürtel, der meine Arme an den Körper preßte... und eine Hannibal Lecter Maske - und ein grinsender Sechsjähriger hatte enormen Spaß mich durch die Narren zu führen und mir Bonbons durch die Gitterstäbe meiner Maske zu friemeln. DAS hat dann tatsächlich irgendwie trotzdem Spässeken gemacht.
    Ansonsten rate ich zum Norden! Hier in Bremen hab' ich so gut wie gar nichts jeckes mitbekommen - und auch so gar nicht vermißt!

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  6. Als Waldshuterin (Waldshut = kleines allemannisches Städtchen an der Schweizer Grenze) möchte ich eine Lanze für die "Fasenet" brechen. Die Kostüme sind meist nicht grell-bunt, sondern werden manchal sogar noch von der Uroma vererbt, jeder Ort hat seine eigenen Hanseln (bei uns zum Beispiel sind es die Hemdklunkis, nebenan die Katzenrollis). Es gibt keine peinlichen Büttenreden, dafür Guggenmusik, Fackeln, Straßenumzüge und ein aufkommendes Gefühl von Gemeinschaft, das an eine Zeit erinnert, in der das Wort Individualismus noch keine Bedeutung hatte.
    Und natürlich gibt es die Schul-Befreiung durch die Narren am schmutzige Dunschdig.
    Narri, Narro!

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  7. Axel Holsta
    die petra ist ja so eine art anti fasching hasspredigerin

    Petra Keil
    Diepetradiepetra:)

    Axel Holsta Ich kann ja hunde nich ausstehn sie wurden nur gezuechtet damit der ausgebeutete mensch was zum abreagieren und sexuell wie emotional ausnutzen hat

    Thorsten Duit
    ‎@Axel: da ich auch Hundetrainer bin, könnte ich da ne Menge zu sagen ... Hund & Mensch sind beidseitig freiwillig ne Symbiose eingegangen .. das züchten kam erst später. Aber ich muss auch nicht jedes Menschen persönliches Feindbild gerade rücken ...

    Frank Schlößer
    Wenn Deutsche ausgelassen feiern, was mögen sie dann? Einen militärisch exakten Aufmarsch von fröhlichen jungen Mädchen in kurzen Röcken. Mit einem juchzigen Spagat am Schluss. Helau.

    Axel Holsta
    War ein witz

    Axel Holsta
    So ein bloeder grosskotziger quatsch herr schloesser wenn ich das schon hoere: DER DEUTSCHE . Ich persoenlich musste den stechschritt noch ernsthaft ueben und finde ihn bei weitem akzeptabler wenn er nicht von 18 jaehrigen pickeligen jungs aisgeuebt wird. Aber so ein vorurteil hilft gut ueber den tag.

    Petra Keil
    Wuff!

    Axel Holsta
    wauwau

    Frank Schlößer
    ‎@axel: Ich hab nicht "Der Deutsche" geschrieben. Aber wenn was sehr deutsch und ansonsten einmalig in der Welt ist und auch nirgendwo kopiert wird, weil es zu bescheuert ist - dann ist das doch wohl die Funkengarde. Ich hasse die Idee, die dahintersteckt. Zelebrierte untertänigste Dummheit, wo Sexismus und Marschmusik zusammengeht. Und: Hunde nicht ausstehen zu können ist übrigens ein Vorurteil, das wir beide teilen.

    Frank Schlößer
    Und schönen Dank noch an Petra Keil.

    Sonja Hilberger
    Cheerleader sind genauso bescheuert und die gibts das ganze Jahr, vor jedem Spiel.

    Petra Keil
    ‎@Lieber Thorsten D., im übrigen habe ich auch Freude an langen dunklen Wintertagen. Es ist doch eine Frage der eigenen Kreativität und wie man alles für sich GESTALTET. Traditionen sind doch nicht immer sinnvoll begründet! Das gibt doch das Gesicht der Geschichte Preis .
    LG und herzlich auch!

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  8. Das Foto. Nicht uklig. Nicht mal blöd. Eigentlich nur traurig. Oder erschreckend, was da so alles durch den Kopf geht beim Betrachten.

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