Mittwoch, 24. August 2011

XXIV. VIII. LXXIX - Pompeii verschüttet!


Brief des siebzehnjährigen Plinius des Jüngeren an Tacitus:

Plinius der Jüngere
 ...Mein Onkel befand sich in Misenum , wo er persönlich das Kommando über die Flotte hatte.
Am 24. August meldet ihm ungefähr um 13 Uhr meine Mutter, es zeige sich eine Wolke von ungewöhnlicher Größe und Gestalt. Er hatte sich gesonnt, kalt gebadet, dann im Liegen etwas zu sich genommen und studierte. Er forderte seine Sandalen und bestieg eine Anhöhe, von der aus man die sonderbare Erscheinung am besten beobachten konnte.
Die Wolke erhob sich - von welchem Berg, konnte man von weitem nicht eindeutig erkennen (dass es der Vesuv war, erfuhr man erst später) - in einer Gestalt, die mit keinem Baum besser zu vergleichen war als mit einer Pinie. Denn sie schien auf einem sehr langen Stamm in die Höhe zu steigen und sich in einige Zweige zu verbreitern; wahrscheinlich, weil sie anfangs durch den frischen Druck in die Höhe stieg und sich dann, als jener nachließ, senkte oder sich durch ihre eigene Schwerkraft in die Breite ergoss. Sie war bisweilen weiß, bisweilen schmutzig und gefleckt, je nachdem ob sie Erde oder Steine mit sich führte.
Als einem Mann mit wissenschaftlichen Interessen erschien ihm die Sache bedeutsam und wert, aus grösserer Nähe betrachtet zu werden. Er befahl, ein Boot bereitzumachen, mir stellte er es frei, wenn ich wollte, mitzukommen. Ich antwortete, ich wolle lieber bei meiner Arbeit bleiben, und zufällig hatte er mir selbst das Thema gestellt. 
Der Vesuv auf einem pompeianischen Fresco
Beim Verlassen des Hauses erhielt er ein Briefchen von Rectina, der Frau des Cascus, die sich wegen der drohenden Gefahr ängstigte (ihre Villa lag am Fuss des Vesuv, und nur zu Schiffe konnte man fliehen); sie bat, sie aus der bedenklichen Lage zu befreien. Daraufhin änderte er seinen Entschluss und vollzog nun aus Pflichtbewusstsein, was er aus Wissensdurst begonnen hatte. Er liess Vierdecker zu Wasser bringen, ging selbst an Bord, um nicht nur Rectina, sondern auch vielen anderen zu Hilfe zu kommen, denn die liebliche Küste war dicht besiedelt. Er eilte dorthin, von wo andere flohen, und hielt geradewegs auf die Gefahr zu, so gänzlich unbeschwert von Furcht, dass er alle Phasen, alle Erscheinungsformen des Unheils, wie er sie mit den Augen wahrnahm, seinem Sekretär diktierte.
Garten der Flüchtenden Pompeii
Schon fiel Asche auf die Schiffe, immer heisser und dichter, je näher sie herankamen, bald auch Bimsstein und schwarze, halbverkohlte, vom Feuer geborstene Steine, schon trat das Meer plötzlich zurück, und das Ufer wurde durch Felsbrocken vom Berge her unpassierbar. Einen Augenblick war er unschlüssig, ob er umkehren solle, dann rief er dem Steuermann, der dazu geraten hatte, zu: ªDem Mutigen hilft das Glück, halt auf Pomponianus zu!´ Dieser befand sich in Stabiae, am anderen Ende des Golfs - das Meer drängt sich hier in sanft gekrümmtem Bogen ins Land-; dort hatte er, obwohl noch keine unmittelbare Gefahr bestand, aber doch sichtbar drohte und, wenn sie wuchs, unmittelbar bevorstand, sein Gepäck auf die Schiffe verladen lassen, entschlossen zu fliehen, wenn der Gegenwind sich legte. Dorthin fuhr jetzt mein Onkel mit dem für ihn günstigen Winde, schloss den Verängstigten in die Arme, tröstete ihn, redete ihm gut zu, und um seine Angst durch seine eigene Ruhe zu beschwichtigen, liess er sich ins Bad tragen. Nach dem Bade ging er zu Tisch, speiste seelenruhig oder - was nicht weniger grossartig ist - anscheinend seelenruhig. Inzwischen leuchteten vom Vesuv her an mehreren Stellen weite Flammenherde und hohe Feuersäulen auf, deren strahlende Helle durch die dunkle Nacht noch gehoben wurde. Um das Grauen der anderen zu beschwichtigen, erklärte mein Onkel, Bauern hätten in der Aufregung ihre Herdfeuer brennen lassen, und nun ständen ihre unbeaufsichtigten Hütten in Flammen. Dann begab er sich zur Ruhe und schlief tatsächlich ganz fest, denn seine wegen seiner Leibesfülle ziemlich tiefen, lauten Atemzüge waren vernehmlich, wenn jemand an seiner Tür vorbeiging. Aber der Boden des Vorplatzes, von dem aus man sein Zimmer betrat, hatte sich, von einem Gemisch aus Asche und Bimsstein bedeckt, schon so weit gehoben, dass man, blieb man noch länger in dem Gemach, nicht mehr hätte herauskommen können. So weckte man ihn denn; er trat heraus und gesellte sich wieder zu Pomponianus und den übrigen, die die Nacht durchwacht hatten. Gemeinschaftlich berieten sie, ob sie im Hause bleiben oder sich ins Freie begeben sollten, denn infolge häufiger, starker Erdstösse wankten die Gebäude und schienen, gleichsam aus ihren Fundamenten gelöst, hin- und herzuschwanken. Im Freien wiederum war das Herabregnen ausgeglühter, allerdings nur leichter Bimsstein-Stückchen bedenklich, doch entschied man sich beim Abwägen der beiden Gefahren für das letztere, und zwar trug bei ihm eine vernünftige Überlegung über die andere den Sieg davon, bei den übrigen eine Befürchtung über die andere. Sie stülpten sich Kissen über den Kopf und verschnürten sie mit Tüchern; das bot Schutz gegen den Steinschlag.
Plinius der Ältere
 Schon war es anderswo Tag, dort aber Nacht, schwärzer und dichter als alle Nächte sonst, doch milderten die vielen Fackeln und mancherlei Lichter die Finsternis. Man beschloss, an den Strand zu gehen und sich aus der Nähe zu überzeugen, ob das Meer schon gestatte, etwas zu unternehmen. Aber es blieb immer noch rauh und feindlich. Dort legte mein Onkel sich auf eine ausgebreitete Decke, verlangte hin und wieder einen Schluck kalten Wassers und nahm ihn zu sich. Dann jagten Flammen und als ihr Vorbote Schwefelgeruch die andern in die Flucht und schreckten ihn auf. Auf zwei Sklaven gestützt, erhob er sich und brach gleich tot zusammen, vermutlich weil ihm der dichtere Qualm den Atem nahm und den Schlund verschloss, der bei ihm von Natur schwach, eng und häufig entzündet war. Sobald es wieder hell wurde - es war der dritte Tag von dem an gerechnet, den er als letzten erlebt hatte -, fand man seinen Leichnam unberührt und unverletzt, zugedeckt, in den Kleidern, die er zuletzt getragen hatte, in seiner äusseren Erscheinung eher einem Schlafenden als einem Toten ähnlich.

Derweilen hatten ich und meine Mutter in Misenum - doch das ist belanglos für die Geschichte, und Du hast ja auch nur vom Ende meines Onkels hören wollen. Also Schluss! Nur eines will ich noch hinzufügen: ich habe alles, was ich selbst erlebt und was ich gleich nach der Katastrophe - dann kommen die Berichte der Wahrheit noch am nächsten - gehört hatte, aufgezeichnet. Du wirst das Wesentliche herauspicken, denn es ist nicht dasselbe, ob man einen Brief schreibt oder Geschichte, ob man an einen Freund oder für die Allgemeinheit schreibt.

Leb wohl!


...Erat Miseni classemque imperio praesens regebat. Nonum kal. Septembres hora fere septima mater mea indicat ei adparere nubem inusitata et magnitudine et specie. Usus ille sole, mox frigida, gustaverat iacens studebatque; poscit soleas, ascendit locum ex quo maxime miraculum illud conspici poterat.
Nubes - incertum procul intuentibus, ex quo monte (Vesuvium fuisse postea cognitum est) - oriebatur, cuius similitudinem et formam non alia magis arbor quam pinus expresserit. Nam longissimo velut trunco elata in altum quibusdam ramis diffundebatur, credo quia recenti spiritu evecta, dein senescente eo destituta aut etiam pondere suo victa in latitudinem vanescebat, candida interdum, interdum sordida et maculosa prout terram cineremve sustulerat.
Magnum propiusque noscendum ut eruditissimo viro visum. Iubet liburnicam aptari; mihi si venire una vellem facit copiam; respondi studere me malle, et forte ipse quod scriberem dederat. Egrediebatur domo; accipit codicillos Rectinae Tasci imminenti periculo exterritae (nam villa eius subiacebat, nec ulla nisi navibus fuga): ut se tanto discrimini eriperet orabat. Vertit ille consilium et, quod studioso animo incohaverat, obit maximo.
Deducit quadriremes, ascendit ipse non Rectinae modo sed multis (erat enim frequens amoenitas orae) laturus auxilium. Properat illuc unde alii fugiunt, rectumque cursum recta gubernacula in periculum tenet adeo solutus metu, ut omnes illius mali motus omnes figuras, ut deprenderat oculis, dictaret enotaretque.
Iam navibus cinis incidebat, quo propius accederent, calidior et densior; iam pumices etiam nigrique et ambusti et fracti igne lapides; iam vadum subitum ruinaque montis litora obstantia. Cunctatus paulum an retro flecteret, mox gubernatori, ut ita faceret, monenti: "Fortes" inquit "fortuna iuvat: Pomponianum pete!" Stabiis erat diremptus sinu medio (nam sensim circumactis curvatisque litoribus mare infunditur); ibi quamquam nondum periculo adpropinquante, conspicuo tamen et, cum cresceret, proximo, sarcinas contulerat in naves, certus fugae, si contrarius ventus resedisset. Quo tunc avunculus meus secundissimo invectus, complectitur trepidantem consolatur hortatur, utque timorem eius sua securitate leniret, deferri in balineum iubet; lotus accubat cenat, aut hilaris aut (quod aeque magnum) similis hilari.
Interim e Vesuvio monte pluribus locis latissimae flammae altaque incendia relucebant, quorum fulgor et claritas tenebris noctis excitabatur.
Iam dies alibi, illic nox omnibus noctibus nigrior densiorque; quam tamen faces multae variaque lumina solvebant. Placuit egredi in litus, et ex proximo adspicere, ecquid iam mare admitteret; quod adhuc vastum et adversum permanebat. Ibi super abiectum linteum recubans semel atque iterum frigidam aquam poposcit hausitque. Deinde flammae flammarumque praenuntius odor sulpuris alios in fugam vertunt, excitant illum. Innitens servolis duobus adsurrexit et statim concidit, ut ego colligo, crassiore caligine spiritu obstructo, clausoque stomacho, qui illi natura invalidus et angustus et frequenter aestuans erat. Ubi dies redditus (is ab eo quem novissime viderat tertius), corpus inventum integrum inlaesum opertumque ut fuerat indutus: habitus corporis quiescenti quam defuncto similior. 
Interim Miseni ego et mater - sed nihil ad historiam, nec tu aliud quam de exitu eius scire voluisti. Finem ergo faciam. Unum adiciam, omnia me, quibus interfueram quaeque statim, cum maxime vera memorantur, audieram, persecutum. Tu potissima excerpes; aliud est enim epistulam aliud historiam, aliud amico aliud omnibus scribere. 
Vale.


1 Kommentar:

  1. Alexander Höchst25. August 2011 um 12:01

    Edel, gelassen und unerschüttert ging der Onkel auf sein Ende zu; wahrscheinlich auch fasziniert von dem imposanten Naturereignis. Alle auf dem Schiff folgten ihm; was für eine Persönlichkeit musste er gewesen sein. Diese große Geschichte werde ich mir merken; Motivation für schicksalhafte Zeiten.

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