Dienstag, 7. Juni 2011

Ein Theater hat auch einen Ankleider oder eine Garderobiere


Der Garderobengang eines Theaters, ist nicht der Gang, wo die Zuschauer Mäntel, Anoraks oder schweres Marschgepäck abgeben und wo, noch vor nicht all zu langer Zeit, die Damen aus den bequemen Strassenschuhen in die, meist in bunten Einkaufsbeuteln aus Nylon transportierten, "feinen" Schuhe wechselten. Ein jugendlicher Erinnerungs-Schnappschuss: In der Oper kurz vor Beginn: Frauen frisch frisiert in ihren alltäglichen Mänteln, an deren unterem Rand barock gemusterte Brokatabendkleider hervorlugen. Das nennt man zwar die Garderobe, aber Garderobieren arbeiten nicht dort, sondern in den Garderoben der Schauspieler. Und wenn diese gerade nix zu tun haben, sitzen sie auf dem Garderobengang davor, aufgereiht auf Stühlen, wie freundliche Hühner auf unsichtbarer Stange und aus nicht ganz einsehbaren Gründen, oft weißbekittelt. Möglicherweise soll das Weiß der Kittel Assoziationen von helfenden, beruhigenden Krankenschwestern hervorrufen, immer bereit zarte, leicht erregbare Schauspielergemüter zu beruhigen. Es sind meist Frauen, möglicherweise bezeichnet man männliche Vertreter dieses Berufsstandes als Garderobierer oder Garderober? Ankleider.

Das KoordinationsCentrum für Ausbildung in den Medienberufen gibt folgende Berufsbeschreibung:
"Garderobieren kümmern sich um die Bereitstellung der Kostüme während der Dreharbeiten eines Films, bei Vorstellungen am Theater oder der Oper, bei Fernseh-Shows, usw.. Dabei sorgen sie dafür, daß jeweils das gesamte Kostüm in einwandfreiem Zustand zur Verfügung steht und helfen den Darstellerinnen gegebenenfalls beim Ankleiden. Garderobieren überwachen die Reinigung der Kostüme, führen kleinere Reparaturen oder Änderungen aus. Wieviel Psychologie zur Arbeit einer Garderobiere gehören, schildert der Film The Dresser. (1983, dt: Ein ungleiches Paar): Der Dresser verwaltet nicht nur die Kostüme, sondern ist auch Motivationskünstler, Freund und Souffleur. Die Garderobe ist nicht eine pure Umkleidekabine. In der Garderobe bereiten sich die Darsteller auf ihren Auftritt vor, mit allen Hochstimmungen und Tiefpunkten. Mit anderen Worten: Garderobieren brauchen, neben ihrem Fachwissen, viel Einfühlungsvermögen, gute Nerven, Flexibilität und Menschenkenntnis."

Stimmt. Es ist ein merkwürdiger Beruf, irgendwo im Niemandsland zwischen Nicht-ganz- Schneiderin, Fast-Vertraute, im Notfall-für-alles-Zuständige und, bei superschnellen Umzügen, Artistin.

In früheren Tagen, damals, es war einmal, vor dem Krieg, waren manche von ihnen Hüter der Diven beiderlei Geschlechts mit persönlichstem Aufgabenbereich: Verehrer elegant abzuwimmeln oder vertraulich einzulassen, unzählige Blumengebinde zu arrangieren, DEN TEE zuzubereiten, ohne den die oder der jeweilige Künstler den Strapazen des Abends nicht gewachsen gewesen wäre. Der kannte keine Türen, diese öffneten und schlossen sich wunderbarerweise für ihn, Schuhe schlüpften an seine Füße, Haken klickten in Ösen, die Krampen von Reißverschlüssen griffen wie von selbst ineinander.

Eine Kollegin, nennen wir sie X, erhielt, während der Briefbombenpanik Mitte der Neunziger, einen dicken Umschlag ohne Absender und gab ihn der ihn überreichenden Garderobiere mit den Worten: " Mach du auf, ich hab Angst." zurück. Es war dann nur ein Packen Zeitungsartikel, aber die Vorstellung der explodierenden Garderobiere, die ihr Leben als Märtyrerin für die Kunst mit einem letzten seligen Lächeln aushaucht, verdient es, erwähnt zu werden.

Heute ist auch dieser Beruf, wie so viele Dinge am Theater, pragmatischer geworden und wird oft nur als Durchgangsstation für andere, größere Karrieren genutzt. Aber eine gute Garderobiere, die, wenn man vor Premierenangst schlotternd in panischer Erwartung des kommenden Unheils vor dem Schminkspiegel sitzt, einem durch Kamillentee, Fenchelbonbon oder ein nebensächliches Kompliment, einen Moment der Entspannung gibt, ist auch ein kleines Theaterwunder.

Der im zitierten Artikel erwähnte Film "The Dresser" ("Der Ankleider" oder in die wiedermal idiotischendeutschen Version "Ein ungleiches Paar", immer ein bisschen dramaturgische Hilfestellung!) ist ein fast vergessener Edelstein von einem Film. 1983 gedreht, mit Albert Finney und Tom Courtenay und von Peter Yates inszeniert.




Es ist der Ankleider, aber eigentlich blicken so nur Königsmörder.

2 Kommentare:

  1. Auch beeindruckend:
    Ihre Verschwiegenheit nach draußen bei Haut-, Gewichts- und sonstigen Körperproblemen.
    Ihre scheulose praktische Hilfestellung bei komplizierten Kostümen auf dem Klo während der Vorstellung.

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  2. Burkhard Ritter schrieb:
    1968/69 habe ich mir (noch Schüler) Taschengeld dazu verdient und wurde Statist am Kleist Theater. Das erste Stück in dem ich meine Interpretation eines Schauspielers darbieten durfte war in der Musical Fassung von „Was ihr wollt“.
    Meine herausragende Rolle, ein Wächter. Als neuer wurde ich dann auch noch einer besonderen Taufe unterzogen. Eigentliche Szene: die Wächter wurden durch den strahlen Held verscheucht aber bei neuen wurde dazu ein Wasserstrahl benutzt. Wie von einer Tarantel gestochen sprang ich auf und mein Kostüm platze aus allen Nähten. Gut das es dann eine Garderobiere gab die mir provisorisch fachmännisch alles zusammen setzte. Bei der nächsten Vorstellung war alles wieder O.K.. Niedlich nicht?
    Die damaligen Stars damals waren Karin Beewen, Gerd Blahuschek, Roland Knappe, Sigurd Schulz.

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