Samstag, 8. Januar 2011

Humor und Tod

Vor vielen Jahren war ich, eher zufällig, im Publikum einer Benefizveranstaltung englischer Schauspieler für einen verstorbenen Kollegen, bzw. dessen Familie. Ich kann mich nicht erinnern, wie der Verstorbene hieß und kannte ihn sowieso nicht, aber was ich noch weiß: es war ein herzlicher und lustiger Abend. Ein paar Anekdoten, kurze Reden und mittendrin, Glenda Jackson, die damalige Grande Dame des englischen Theaters, im braven blauen Kleid mit weißem Kragen, und sie rezitierte mit zarter Stimme den wahrscheinlch ordinärsten Limerick, den ich je die Freude hatte zu hören.
There was a young girl of Peru
Who filled her vagina with glue.
And she said with a grin,
If they pay to come in,
They can pay to come out of it too.
Dann ein Knicks und Abgang. Ich vermute, der Tote mochte schweinische Verse. Ich kenne da auch ein paar Kollegen! Ich sage nur: Wirtinnenverse! Aber stellt euch bitte eine ähnliche Szene bei der Trauerfeier für einen deutschen Schauspieler vor! 
Und? 
Vorstellbar? 
Wohl eher nicht.
Als sich die Mitglieder von Monty Python zu irgendeinem Jubiläum in einer Fernsehsendung trafen, hatten sie ihren 1989 gestorbenen Kollegen Graham Chapman in einer Urne dabei, und als ihnen Tee serviert wurde, kriegte auch er eine Tasse in die Urne mit dem Angebot von Sahne und Zucker.
Diana Rigg, den meisten etwas älteren, als Emma Peel aus "Schirm, Charm und Melone" (The Avengers) bekannt,  hat 1983 ein Buch mit Verrissen herausgebracht: No Turn Unstoned: "The Worst Ever Theatrical Reviews". Sie schrieb an unzählige Schauspieler, mit der Bitte um ihre schlimmsten Kritiken. Viele antworteten, manche nicht. Das Buch ist eine Lust zu lesen, aber nur, weil man nicht selbst diese Kritiken bekommen hat. 
ABER - wie witzig und leidenschaftlich Kritiker seien können, das ist das eigentliche Wunder dieses Buches. Beispiel? Über Catherine Hepburn als Ophelia: Sie zeigte die gesamte Palette ihrer Möglichkeiten von A bis B. 
Gut, wenn man Kerr oder Jehring liest, oder einiges von Friedrich Luft, findet man Parallelen. Aber meist liest man ermüdete oder angestrengte oder unsinnliche "Was hätte ich inszeniert/gespielt, wenn ich inszenieren/spielen könnte - Schulaufsätze" in deutschen Zeitungen, oder? 
Was hindert uns deutsche Theaterleute daran, uns zu mögen? Ich denke, das es nur möglich ist, leidenschaftlich unernst der eigenen Bedeutungsschwere gegenüber zu sein, wenn man sich nicht unentwegt der eigenen Lebensberechtigung versichern muss. Wir sind nicht die Retter der Nation. Wir arbeiten hart und viele von uns für wenig Geld. Wir dürfen tun was wir lieben. Wir sind wichtig, wenn wir unsere Zuschauer wichtig nehmen. Spielen ist ein Spass!
George Thompson, ein englischer Wissenschaftler hat ein hochinteressantes Buch über die Entstehung des griechischen Theaters geschrieben: "Aischylos und Athen", hunderte Seiten hochkomplizierter Fakten zur Entwicklung des Dramas, und ganz am Ende beschreibt er, wie in seiner Vorstellung, der erste Theaterabend aussah.
Eine Horde Urmenschen. Morgen werden sie auf Mammutjagd gehen. Sie haben Angst. Mammut gross, Mensch klein. Also machen sie ein Feuer und spielen die Jagd durch. Ein Tanz. Es werden Mammuts erlegt. Wenn sie am nächsten Morgen auf die Jagd gehen, haben sie ein wenig mehr Mut, etwas mehr Selbstvertrauen. Im Spiel hat es doch geklappt, also vielleicht auch in der Realität. Besser kann ich nicht beschreiben, was ich als den ursächlichen Grund für Theater ansehe.




5 Kommentare:

  1. Theater als Probebühne für den Ernstfall, hab ich das richtig verstanden ? Man tut zuerst als ob, bevor man Morgen zur Sache kommt ? Wenn's beim Publikum ankommt, hat man bessere Karten ? Ein fake als Testvorführung? Wenn man einen Bankraub, einen Überfall, oder eine Entführung durchspielt, macht man es nicht vor Publikum. Es wäre glatter Selbstmord.
    Die Initiationsriten, die Thompson heranführte, fanden bei den Urvölkern natürlich auch ohne Publikum statt. Sie dienten auch nicht zur Unterhaltung, sondern einzig und allein dazu, den Knaben körperliche- und mentale Fertigkeiten beizubringen, die notwendig waren, um die Mammuts zu erlegen, - vor allem ohne dabei selbst Schaden zu nehmen, oder gar umzukommen. Heute würde man Workshops dazu sagen, die auf fundierte Jagderfahrungen des Leiters basierten. Bei diesem wenig unterhaltsamen Drill war auch nicht viel Platz für Humor. Die Workshops (Fruchtbarkeit Riten), die die Mädchen absolvierten hingegen, könnten eher etwas Humor vertragen haben, - fanden aber verständlicher Weise auch ohne Zuschauer satt.
    Was den englischen Black Humor anbelangt, für den Tod und Humor eine wunderbare dialektische Einheit ist, da gebe ich Dir völlig Recht, der bekommt in Deutschland heute noch Schwierigkeiten bei der Einreise. Jammerschade, weil eine Komödie ohne schroffe Gegensätze nicht komisch sein kann. Das wird auch der Grund dafür sein, warum die Deutsche Theatergeschichte so wenig gute Komödien hervorgebracht hat. Zu viele Vorurteile, zu viele Tabus? Savonarola soll gesagt haben, die Deutschen hätten keinen Humor, weil es in Deutschland so kalt sei. Dort gefriert einem das Blut in den Adern.
    Es lebe die Komödie, woher sie immer auch kommt.

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  2. Alexander Höchst8. Januar 2011 um 13:16

    Kritiker, sie sind dazu verdammt, zuzuschauen, wie andere nach Erfüllung streben und kriegen dann nur ein paar Krumen ab, aus denen sie ihre eigene Befriedigung klauben müssen. Aber da ist ja noch das bischen Macht über die öffentliche Meinung. Das hebt wieder die Gemütslage, bleibt aber im Grunde auch unvollendend. Gut, sie versuchen aus der Kritik ein Werk zu machen; fabulieren so geistreich wie sie können und schmücken ihr Werk nach Möglichkeit. Aber es ist irgentwie doch nicht das... Gift und Galle können sie noch versprühen oder sich mit den ihre Satisfaktion suchenden Künstler auf du stellen und so, vielleicht doch ein Teil von ihnen zu werden. Wie sie es drehen und wenden, es bleibt am Ende fad. Man sollte für sie eine Ecke im Theaterfoyer mit Kaltem Buffet einrichten, Getränke servieren, ihnen jemanden zum Reden zur Seite stellen und es ihnen nicht verübeln, wenn sie wieder einmal nicht anders können und einen Verriss, vielleicht sogar mit Esprit, produzieren. Also stoßen wir auf unsere Kritiker an und wünschen ihnen das Beste. Prost!

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  3. Gut gemeinter Rat: Wenn es zum Henker nicht ganz reicht, werde Kritiker!

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  4. Es ist ja nicht das kritisieren selbst, sondern die Oberlehrerhaltung oder, dass sie sehen wollen, was sie selber (Gott hilf uns!) inszeniert hätten. Intelektuelle Masturbation mag ja Spass machen, aber ich muss doch nicht zugucken. Die Hölle für Kritiker, monatelang ihre eigenen Inszenierungen ansehen! Ein leidenschaftlicher Verriss tut zwar auch weh, aber man hat nicht das Gefühl Spucke ins Gesicht gekriegt zu haben.

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  5. Olaf Brühl schrieb auf facebook:
    Na, solche Vergleiche sind Legion und nun selbst auch nicht grade von Selbstliebe getragen: das alles findet sich schon bei Goethen und den Italienreisenden erst - nein, wir tanzen und singen und lachen nicht wie die Neapolitaner auf der St...raße, es fehlt uns der brasilianische Sex und die spanische Grandezza auch (vielleicht weil wir keine Iren sind) und wir haben wahrhaft einen gräßlichen "Humor" oder "Witz" in TV und Kino im Vergleich zu den herrlichen Franzosen, Spaniern und Briten - und wollen ja von unsren Bayern auch nichts lernen - deren Späße schon sinnlicher sind, net? Und am Ärgsten sind "die Deutschen" (???) doch immer, wenn wir es auch so (nachmachen) wollen, zB. heute: USAmäßig. Dafür haben wir eben ein paar andere Sachen, aber Einstein war schon lustig und Hacks konnte Heiter auch, von Henriette & Onkel Titus zu schweigen. Nur momentan: da sind eben die lachhaftesten Dinge nur noch bitter pure Realsatire. Zurück zum Thema:
    schön war auch, daß auf der Beisetzungsfeier von Jim Henson ALLE Muppetsfiguren gekommen waren, inklusive den beiden Alten (deren Kommentare kann man sich ja denken) ... ♥

    Apropos: Sechs-Wort-Geschichten? täglich auf dem Titel der BILD, oder? Am Kiosk im hurtigsten Vorbeigehen lesen, die Phantasie galoppiert sofort los (vom germanischen Zwang zur analytischen Kritik mal wieder zu schweigen... Auch kein Massstab... ; ))

    Peter O. Chotjewitz konnte das auch ... ; )

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