Sonntag, 19. Dezember 2010

Früchte Des Zorns

Dies ist keine Kritik, sondern der Versuch meine Eindrücke zu ordnen.

Gestern abend Premiere im Maxim Gorki Theater, für mich augenblicklich das spannendste, weil akuteste (Ist das ein Wort?) Theater Berlins: Armin Petras hat Steinbeck's Roman von 1939 für die Bühne adaptiert und ein Ensemble von neun Spielern, d.h. die um den Nicht-mehr-Prediger Casy und den Schwiegersohn Connie erweiterte Familie Joad, spielt auch alle die, die ihnen unterwegs, auf dem Treck in das gelobte Kalifornien, begegnen. Ein im besten Sinne karger Abend, der sich kurz vor Schluss plötzlich verüppigt und dann wieder zusammenzieht. Blues, der eher deutsch und gerade deshalb nicht lächerlich klingt, braust gelegentlich auf, Personen versuchen sich über Musik zu formulieren, aber immer werden sie unterbrochen, zurück gezerrt ins gesprochene Wort. Tolle Dialoge, kein Wort zu viel und man kann doch immer den komplizierten Handlungssträngen folgen. Ganz private Gespräche kippen unmerklich in utopische Visionen oder sozialkritische Analysen, ohne je den engen Raum des Schicksals dieser speziellen Familie zu zerstören. 
Irre Bilder: 
Die schwangere Rosasharn träumt den Erwerb eines Külschranks, gerät mit ihrem Ehemann in einen Holywoodfilmtanz (auf der Hinterwand Andeutungen aus schwarz-weiss Filmen der 30er Jahre), dazu, ganz passend Lichteffekt und der beliebte Theater-Nebel, der sich nach Kurzem aber als Sandsturm herausstellt, gegen den die anderen Familienmitglieder ankämpfen.
Eine Apfelernte mit Michael Klammer als Apfelbaum in zartestem Ausdruckstanz an den Händen Stoffäste, die an Eduard mit den Scherenhänden erinnern. Hinreißend.
Uschi Werner! Überhaupt, in jeder Sekunde wunderbar. Man ist die toll! Als Großmutter, die die 40 Dollar für das Begräbnis des toten Mannes sparen muß, als Frau, die fast einmal Sängerin geworden wäre, aber sie wollte nicht, das "etwas" zwischen sie und die Zuschauer gerät, als Bulle und als Leiter eines Versuchs einer proto-kommunistischen Kooperative, die mit einer Marxbüste verzweifelt Ordnung ins drohende Chaos stempelt, immer genau, immer witzig und sie erwischt mich dann doch in der Magengrube. WOW!
Hier liegt auch mein einziges echtes Problem mit dem Abend, in dieser Familie von drei Generationen fehlt die mittlere Generation. Das liegt nicht an den Spielern, aber wenn Gleichaltrige sich ständig als Mutter, bzw. Sohn ansprechen müssen, um die Familienverhältnisse klar zu halten, gibt es eine Störung. Und da ich ja Mitglied der vernachlässigten Gruppe der 40-60 jährigen Schauspielerinnen bin, frage ich mich, warum? Sind wir zu anstrengend, nicht mehr hübsch genug? Zu nah am Alter der Regisseure? Keine Ahnung, aber warum?
Ein Abend über Migration, Verlust von Heimat, drohende Verelendung und Verrohung, der an keiner Stelle wehleidig oder dümmlich wird. 
Ganz am Schluss, findet die Familie, nun völlig mittellos, einen fast verhungerten Mann in einer Scheune, in der sie übernachten wollen, Rosasharn, die gerade ein Kind verloren hat, schickt die anderen hinaus - einen Moment denkt man: tötet sie ihn jetzt, um ihn zu essen? - nein, sie läßt ihn an ihrer Brust trinken.

1 Kommentar:

  1. Vladimir Weigl schrieb: Du weisst das sicherlich, das Steinbecks Schlusszene ein Zitat aus der Caritá Romana ist (u.a. von Bocaccio nacherzählt), die als Quelle für die Stiche und Gemälde von "Cimon und Pero" diente (Beham, Rubens, Caravaggio, etc.) Faszinierendes Motiv, das die Freudianer als Erotische Laktation bezeichnen...

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